Persönlicher Reisebericht
Addis Ababa, September 2010
„Seeing is Believing“
Obwohl ich seit knapp 10 Jahren Vorstandsmitglied desKinderhaus ADDIS e.V.bin, hat es bis ins Jahr 2010 gedauert,dass ich selbst nach Addis gekommen bin, um mir das Projekt, das wir mit unserem Verein unterstützen, vor Ort anzuschauen. Ein Grund dafür war, dass ich mir nie sicher war, ob ich diese Reise wirklich machen wollte – aus der Überzeugung,dass man Menschen, die arm sind, am wenigsten dadurch hilft, dass man hinfährt und sich ihre Armut anschaut.
Im Jahr 2008 traf ich Dr. Jember, die Gründerin unserer äthiopischen Partnerorganisation IHA-UDP, in London. Als ich ihrvon meinen Bedenken erzählte, sagte sie mir, dass man, wenn man wirklich helfen möchte, die Lebensumstände der Menschen einmal mit eigenen Augen gesehen haben muss. “Seeing is believing” – das waren ihre sehr eindringlichen Worte.Diese Überzeugung hat mir zu denken gegeben! Wenn man nicht weiß, was man wie ändern soll im Versuch zu helfen unddie Menschen und ihre Situation nicht kennt, kann man dann überhaupt aus einer eigenen, inneren Überzeugung heraushelfen?
Im September dieses Jahres fuhr ich daher für 2 Wochen nach Addis; ein paar Tage davon waren für Besuche im Projektund bei den von unserem Verein geförderten Kindern eingeplant.
Obwohl wir in Europa durch regelmäßige und realistische Bilder aus dem Fernsehen glauben, einen Eindruck von derArmut, die es in der Welt gibt, zu haben, ist es doch unerwartet krass zu erleben, welchen Unterschied es macht, wenn manDinge persönlich sieht und erlebt.
Der Schock von Slums, der schieren Masse an Menschen, die auf der Straße leben und um das tägliche Überlebenkämpfen, hat mich anfangs tief getroffen – und wurde dann genauso überraschend von etwas Anderem ersetzt: dem Erkennen, dass dies das tägliche Leben dieser Menschen ist. Ist es für uns ein zeitlich begrenzter Ausflug in eine unbekannte undschwer zu verkraftende Welt, so sind diese Menschen so geboren, aufgewachsen und leben ihr Leben tagaus-tagein genauso – in Armut. Das bedeutet kein Abstumpfen gegenüber dem Leid der Menschen, aber doch ein Akzeptieren von Tatsachen,die für sie Alltag bedeuten.
Das soll allerdings nicht heißen, dass die Menschen es nicht anders kennen oder nicht besser wüssten – auch in Addisgibt es Reichtum und Luxus und gerade wir Touristen zeigen ihnen ja, dass es auch ein anderes Leben gibt. Jeder von unswürde extrem darunter leiden, so existieren zu müssen – und nicht anders empfinden es die Menschen dort auch. Mentalitäten sind verschieden, aber die Würde, die von Armut geraubt wird, fühlen alle Menschen gleich.
Die Mitarbeiter im Projekt IHA-UDP eint die tiefe Überzeugung, dass es letztendlich genau diese Würde ist, die man denMenschen zurückgeben muss; dass Armut im Grunde eine Einstellung ist, die es zu ändern gilt; dass Betteln und Hungernfatalistisch, gierig und selbstsüchtig machen. Diese “Armuts- Mentalität” zu ändern und zu etwas Positivem zu wenden, ist einLernprozess, der viele Jahre dauert und intensive Arbeit auf allen Ebenen mit den Menschen erfordert.
Das Geld, das IHA-UDP durch Spenden aus vielen Ländern der Welt erhält, ist die Grundlage für eine radikale Veränderung, die an der Basis, bei jedem einzelnen Menschen, ansetzt und sie in ihrer Situation ernst nimmt. Das Projekt zeigt denMenschen, dass es nicht unabwendbares Schicksal ist, dass sie arm sind und schon immer waren, sondern dass dieser Kreislauf durchbrochen werden kann, indem sie lernen, vor allem ihre Kinder zur Schule zu schicken und Verantwortung für ihreigenes Leben zu übernehmen. Vom Überlebenskampf zu einem aktiven Lebensplan zu kommen, ist das Ziel, das die Mitarbeiter sehr ernst nehmen.
Im Gespräch mit Kindern und Jugendlichen wurde uns klar, wie schwer es sein muss, regelmäßig zur Schule zu gehen,wenn das alltägliche Leben von so vielen Problemen geprägt ist. Der große und beeindruckende Unterschied zu Jugendlichenhier bei uns ist jedoch, dass sie zur Schule gehen wollen, sich einen geregelten Tagesablauf wünschen – weil es so viel für ihrspäteres Leben bedeutet. Diese Kinder und ihre Familien zu motivieren und aufzufangen, wenn etwas schief läuft, ist eingroßer und wichtiger Teil der Arbeit von IHA-UDP.
Wenn man das Ausmaß an Armut in Äthiopien sieht, ist es schwer, überhaupt zu hoffen, dass sich etwas ändern könnte.Wenn man mit den Menschen über Gründe spricht, hört man, dass die Regierung der Arbeit von Hilfsorganisationen vieleSteine in den Weg legt. Man fragt sich, ob die Hilfen von außen nur ein Tropfen „auf den heißen Stein“ sein werden?
Dass die Menschen, die für IHA-UDP arbeiten, ihre Hoffnung dennoch nicht verloren haben, ist daher umso beeindruckender. Sie haben uns viel von ihrem täglichen Kampf und ihren Frustrationen erzählt. Der Ansatz, den sie in ihrer Arbeit vertreten, ist aber so einleuchtend und überzeugend, dass sie ganz offensichtlich genügend Kraft daraus schöpfen, etwas zu tun,das wirklich hilft. Sie erreichen natürlich nicht alle armen Menschen in Addis – aber die, die Teil ihres Projektes sind, habendie Möglichkeit, aus dem Kreislauf der Armut auszubrechen und nicht wieder zurückzufallen. Die Kinder, die zur Schule gehenund eine Ausbildung machen, haben bereits ein anderes Leben kennenlernen können und werden ihren Kindern diesesandere Leben weitergeben. So ist zwar nur einem Teil geholfen – dem aber langfristig und nachhaltig.
Die Situation, die mich bei unseren Besuchen im Projekt am meisten berührt hat, war, als die Mitarbeiter von IHA-UDPuns fragten, woher wir mit unserem kleinen Verein im fernen Deutschland unsere Motivation nehmen, Spendengelder für siezu sammeln und nicht aufzugeben.
Ich habe versucht, ihnen klar zu machen, dass gerade sie mit ihren bewundernswerten Überzeugungen, mit ihrem unermüdlichen Engagement und mit ihrem besonderen Arbeitsansatz unsere Motivation sind und dass es unseren Verein ohneIHA-UDP wahrscheinlich gar nicht mehr geben würde. Ihre Antwort darauf war, dass sie genau das Gleiche über uns hättensagen können.
Der Gedanke, dass arme Menschen in Addis endlich in der Lage sein werden, ihr Leben wertzuschätzen und dass ihnendie Eigenverantwortung zurückgegeben wird, die ihnen vorher nicht möglich war, ist für uns extrem positiv und motivierend –und genau diese Motivation habe ich aus meinem Besuch in Addis mitgenommen, in der Hoffnung, sie in Zukunft überunseren Verein anderen Menschen weitergeben zu können.
Viola Streich
Mitglied des Vorstandes
Kinderhaus ADDIS e.V. – Die deutsch-äthiopische Initiative
„Seeing is Believing“
Obwohl ich seit knapp 10 Jahren Vorstandsmitglied desKinderhaus ADDIS e.V.bin, hat es bis ins Jahr 2010 gedauert,dass ich selbst nach Addis gekommen bin, um mir das Projekt, das wir mit unserem Verein unterstützen, vor Ort anzuschauen. Ein Grund dafür war, dass ich mir nie sicher war, ob ich diese Reise wirklich machen wollte – aus der Überzeugung,dass man Menschen, die arm sind, am wenigsten dadurch hilft, dass man hinfährt und sich ihre Armut anschaut.
Im Jahr 2008 traf ich Dr. Jember, die Gründerin unserer äthiopischen Partnerorganisation IHA-UDP, in London. Als ich ihrvon meinen Bedenken erzählte, sagte sie mir, dass man, wenn man wirklich helfen möchte, die Lebensumstände der Menschen einmal mit eigenen Augen gesehen haben muss. “Seeing is believing” – das waren ihre sehr eindringlichen Worte.Diese Überzeugung hat mir zu denken gegeben! Wenn man nicht weiß, was man wie ändern soll im Versuch zu helfen unddie Menschen und ihre Situation nicht kennt, kann man dann überhaupt aus einer eigenen, inneren Überzeugung heraushelfen?
Im September dieses Jahres fuhr ich daher für 2 Wochen nach Addis; ein paar Tage davon waren für Besuche im Projektund bei den von unserem Verein geförderten Kindern eingeplant.
Obwohl wir in Europa durch regelmäßige und realistische Bilder aus dem Fernsehen glauben, einen Eindruck von derArmut, die es in der Welt gibt, zu haben, ist es doch unerwartet krass zu erleben, welchen Unterschied es macht, wenn manDinge persönlich sieht und erlebt.
Der Schock von Slums, der schieren Masse an Menschen, die auf der Straße leben und um das tägliche Überlebenkämpfen, hat mich anfangs tief getroffen – und wurde dann genauso überraschend von etwas Anderem ersetzt: dem Erkennen, dass dies das tägliche Leben dieser Menschen ist. Ist es für uns ein zeitlich begrenzter Ausflug in eine unbekannte undschwer zu verkraftende Welt, so sind diese Menschen so geboren, aufgewachsen und leben ihr Leben tagaus-tagein genauso – in Armut. Das bedeutet kein Abstumpfen gegenüber dem Leid der Menschen, aber doch ein Akzeptieren von Tatsachen,die für sie Alltag bedeuten.
Das soll allerdings nicht heißen, dass die Menschen es nicht anders kennen oder nicht besser wüssten – auch in Addisgibt es Reichtum und Luxus und gerade wir Touristen zeigen ihnen ja, dass es auch ein anderes Leben gibt. Jeder von unswürde extrem darunter leiden, so existieren zu müssen – und nicht anders empfinden es die Menschen dort auch. Mentalitäten sind verschieden, aber die Würde, die von Armut geraubt wird, fühlen alle Menschen gleich.
Die Mitarbeiter im Projekt IHA-UDP eint die tiefe Überzeugung, dass es letztendlich genau diese Würde ist, die man denMenschen zurückgeben muss; dass Armut im Grunde eine Einstellung ist, die es zu ändern gilt; dass Betteln und Hungernfatalistisch, gierig und selbstsüchtig machen. Diese “Armuts- Mentalität” zu ändern und zu etwas Positivem zu wenden, ist einLernprozess, der viele Jahre dauert und intensive Arbeit auf allen Ebenen mit den Menschen erfordert.
Das Geld, das IHA-UDP durch Spenden aus vielen Ländern der Welt erhält, ist die Grundlage für eine radikale Veränderung, die an der Basis, bei jedem einzelnen Menschen, ansetzt und sie in ihrer Situation ernst nimmt. Das Projekt zeigt denMenschen, dass es nicht unabwendbares Schicksal ist, dass sie arm sind und schon immer waren, sondern dass dieser Kreislauf durchbrochen werden kann, indem sie lernen, vor allem ihre Kinder zur Schule zu schicken und Verantwortung für ihreigenes Leben zu übernehmen. Vom Überlebenskampf zu einem aktiven Lebensplan zu kommen, ist das Ziel, das die Mitarbeiter sehr ernst nehmen.
Im Gespräch mit Kindern und Jugendlichen wurde uns klar, wie schwer es sein muss, regelmäßig zur Schule zu gehen,wenn das alltägliche Leben von so vielen Problemen geprägt ist. Der große und beeindruckende Unterschied zu Jugendlichenhier bei uns ist jedoch, dass sie zur Schule gehen wollen, sich einen geregelten Tagesablauf wünschen – weil es so viel für ihrspäteres Leben bedeutet. Diese Kinder und ihre Familien zu motivieren und aufzufangen, wenn etwas schief läuft, ist eingroßer und wichtiger Teil der Arbeit von IHA-UDP.
Wenn man das Ausmaß an Armut in Äthiopien sieht, ist es schwer, überhaupt zu hoffen, dass sich etwas ändern könnte.Wenn man mit den Menschen über Gründe spricht, hört man, dass die Regierung der Arbeit von Hilfsorganisationen vieleSteine in den Weg legt. Man fragt sich, ob die Hilfen von außen nur ein Tropfen „auf den heißen Stein“ sein werden?
Dass die Menschen, die für IHA-UDP arbeiten, ihre Hoffnung dennoch nicht verloren haben, ist daher umso beeindruckender. Sie haben uns viel von ihrem täglichen Kampf und ihren Frustrationen erzählt. Der Ansatz, den sie in ihrer Arbeit vertreten, ist aber so einleuchtend und überzeugend, dass sie ganz offensichtlich genügend Kraft daraus schöpfen, etwas zu tun,das wirklich hilft. Sie erreichen natürlich nicht alle armen Menschen in Addis – aber die, die Teil ihres Projektes sind, habendie Möglichkeit, aus dem Kreislauf der Armut auszubrechen und nicht wieder zurückzufallen. Die Kinder, die zur Schule gehenund eine Ausbildung machen, haben bereits ein anderes Leben kennenlernen können und werden ihren Kindern diesesandere Leben weitergeben. So ist zwar nur einem Teil geholfen – dem aber langfristig und nachhaltig.
Die Situation, die mich bei unseren Besuchen im Projekt am meisten berührt hat, war, als die Mitarbeiter von IHA-UDPuns fragten, woher wir mit unserem kleinen Verein im fernen Deutschland unsere Motivation nehmen, Spendengelder für siezu sammeln und nicht aufzugeben.
Ich habe versucht, ihnen klar zu machen, dass gerade sie mit ihren bewundernswerten Überzeugungen, mit ihrem unermüdlichen Engagement und mit ihrem besonderen Arbeitsansatz unsere Motivation sind und dass es unseren Verein ohneIHA-UDP wahrscheinlich gar nicht mehr geben würde. Ihre Antwort darauf war, dass sie genau das Gleiche über uns hättensagen können.
Der Gedanke, dass arme Menschen in Addis endlich in der Lage sein werden, ihr Leben wertzuschätzen und dass ihnendie Eigenverantwortung zurückgegeben wird, die ihnen vorher nicht möglich war, ist für uns extrem positiv und motivierend –und genau diese Motivation habe ich aus meinem Besuch in Addis mitgenommen, in der Hoffnung, sie in Zukunft überunseren Verein anderen Menschen weitergeben zu können.
Viola Streich
Mitglied des Vorstandes
Kinderhaus ADDIS e.V. – Die deutsch-äthiopische Initiative